Litigation-PR: Spezialdisziplin der Krisenkommunikation
Hört man den Namen Jörg Kachelmann, so mag der ein oder andere zunächst an den oft etwas flapsig wirkenden Wettermann in der ARD denken. Die meisten werden jedoch zugleich die Bilder aus den Jahren 2010 und 2011 vor Augen haben, als sich Kachelmann in einem Strafverfahren den Vorwürfen der Vergewaltigung und der gefährlichen Körperverletzung gegenübersah. Der Kachelmann-Prozess ist nur ein Beispiel von vielen, das eindrucksvoll zeigt, dass Strafsachen schon lange nicht mehr allein im Gerichtssaal verhandelt werden, sondern auch in der Öffentlichkeit.
Skandalöse Zivilprozesse mit prominenten Persönlichkeiten, strafrechtliche Verfahren gegen Top-Manager oder Insolvenzverfahren von Unternehmen sind verstärkt der öffentlichen Wahrnehmung ausgesetzt. Nicht selten wird in der medialen Skandalisierung solcher Verfahren die Unschuldsvermutung schnell über Bord geworfen, zumindest aber verschwiegen. So geht es für die Betroffenen dann nicht mehr allein um den Ausgang des Prozesses, sondern um die eigene Reputation. Und diese kann einen erheblichen Schaden nehmen, unabhängig davon, ob am Ende ein Schuldspruch steht oder nicht. Helfen kann in diesem Zusammenhang die sogenannte Litigation-PR, eine spezielle Form der Öffentlichkeitsarbeit, die ihren Ursprung in den USA hat und sich dort seit den 1980ern stark professionalisiert hat. Doch was umfasst diese Spezialdisziplin des Kommunikationsmanagements, die auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewinnt?
Im Gericht gewonnen, in der Öffentlichkeit verloren
Grundsätzlich lässt sich Litigation-PR als die kommunikative Begleitung von Gerichtsverfahren und rechtlichen Auseinandersetzungen beschreiben. Die Notwendigkeit spezieller Kommunikationsstrategien im Kontext von Gerichtsprozessen fußt dabei vor allem auf zwei Erkenntnissen: Zum einen darauf, dass ein Prozess vor Gericht gewonnen und gleichzeitig in der Öffentlichkeit verloren werden kann. Auch wenn Jörg Kachelmann letztendlich freigesprochen wurde, kämpft er bis heute um sein Bild in der öffentlichen Wahrnehmung. Zum anderen sind „herkömmliche“ PR-Maßnahmen und -Instrumente bei juristischen Auseinandersetzungen häufig wirkungslos. Denn unabhängige Gerichte reagieren empfindlich auf den Versuch, etwa mithilfe öffentlicher Kampagnen Einfluss auf die Rechtsprechung nehmen zu wollen. Mit dem übergeordneten Ziel, einen Prozess so zu begleiten, dass die Reputation und die Rehabilitationsfähigkeit einer angeklagten Person oder eines Unternehmens möglichst erhalten bleibt, kommen der Litigation-PR also spezielle und sensible Aufgaben zu:
- den Standpunkt des Mandanten klar formulieren und sichtbar machen,
- Hintergründe, aktuelle Geschehnisse und rechtliche Grundlagen verständlich und transparent kommunizieren,
- bestehende Fakten und Informationen aufbereiten und bereitstellen, um zu einer ausgeglichenen Berichterstattung beizutragen,
- Anschuldigungen einordnen und zur Lösung von Konflikten beitragen.
Wer diese Aufgaben konkret übernimmt und als Sprecher gegenüber der Öffentlichkeit auftritt, ist dabei sorgfältig abzuwägen. Denn anders als in den Vereinigten Staaten, wo Beschuldigte wie Harvey Weinstein sich bewusst für aggressive Verteidiger entscheiden, wird bei uns eine angemessene Distanz zwischen Medienöffentlichkeit und Gerichtssaal in der Regel gewahrt. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass es keiner Übersetzungsleistungen für die breite Öffentlichkeit bedarf. Für eine gelungene Litigation-PR ist es darum vor allem wichtig, dass im Vorfeld eine enge Zusammenarbeit zwischen Juristen und Kommunikationsexperten stattfindet. Beide Seiten müssen verstehen lernen, dass der Gerichtssaal, in dem es um faktengestützte Wahrheitsfindung geht, und die öffentliche Arena, in der pointierte Meinungsäußerungen an der Tagesordnung sind, zwei sehr unterschiedliche Spielfelder darstellen, auf denen durchaus unterschiedliche Regeln herrschen.
Litigation-PR in Zeiten der Krise
Es wird deutlich, dass Litigation-PR auch für Unternehmen in Krisensituationen mit rechtlichen Auseinandersetzungen eine geeignete Methode darstellen kann, um die Reputation zu schützen, die eigene Position der Öffentlichkeit darzulegen sowie die mediale Berichterstattung entsprechend zu unterstützen. Häufig hängen Unternehmenskrisen unmittelbar mit rechtlichen Auseinandersetzungen zusammen, sodass eine gesonderte kommunikative Begleitung der juristischen Prozesse die Krisenkommunikation insgesamt stärken kann. Ob eine langfristig angelegte Litigation-PR das richtige Mittel der Wahl ist, ist jedoch von Fall zu Fall individuell zu entscheiden. Denn sobald sich in der Öffentlichkeit bereits eine deutliche und vorgefestigte Meinung etabliert hat, können gegensätzliche Kommunikationsmaßnahmen sogar negative Effekte auslösen.
Ausblick: Beim 13. Kliniksprechertag am 5. März 2020 wird das Thema Litigation-PR in einem der Workshops im Fokus stehen. Als Referent konnte die Agentur lege artis Nino Ostheim, Communication Specialist bei der Rosen-Gruppe, gewinnen. Er veröffentlichte 2019 die lesenswerte Arbeit „Litigation-PR und der neue Strukturwandel der Öffentlichkeit: Eine Untersuchung zur medialisierten Anwaltspraxis“. Weitere Informationen zum 13. Kliniksprechertag sowie das Programm finden Sie hier.