#metoo ernst nehmen – gegen sexuelle Diskriminierung im Krankenhaus
Zweifelsfrei hat die #MeToo-Bewegung in den vergangenen Monaten zu einer weltweiten Diskussion geführt, die das Thema sexuelle Belästigung in den Medien und in den Köpfen der Menschen zunehmend präsent macht. Doch während vor allem die Fälle in Hollywood für große Aufmerksamkeit sorgten, scheint die Auseinandersetzung mit dem Thema in Deutschland zu stocken. Dass auch in unserer unmittelbaren Umgebung, zum Beispiel am eigenen Arbeitsplatz, Übergriffe stattfinden, wird häufig ignoriert. Denn nicht jede Branche fühlt sich bei dem Thema angesprochen und schweigt lieber, anstatt das Gesprächsangebot der #MeToo-Bewegung anzunehmen. Dabei könnte eine ernsthafte und offensive Debatte über sexuelle Diskriminierung die Zusammenarbeit grundlegend verbessern. Auch die Gesundheitsbranche nimmt bislang überwiegend die Rolle eines stillen Beobachters ein – das ist ein Fehler.
Risikofaktoren im Krankenhaus
Sexuelle Übergriffe geschehen unabhängig von Institutionen oder Branchen. Sie sind allgegenwärtig. Dennoch gibt es Bedingungen, die diese Übergriffe begünstigen. Der Arbeitsplatz „Krankenhaus“ vereinigt einige dieser Risikofaktoren.
Allein die Tatsache, dass vor allem in der Pflege viele (junge) Frauen tätig sind, erhöht das mögliche Potenzial für sexuelle Übergriffe. Und fast zwei Drittel aller Studierenden im Fach Humanmedizin sind ebenfalls Frauen. Sie werden bald als junge Ärztinnen in den Krankenhäusern ankommen – ein weiterer Grund für die Kliniken, dringend tätig zu werden. Denn eine Umfrage des Weltärztinnenbundes ergab, dass in der Vergangenheit 37 Prozent der befragten Frauen schon einmal sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt haben. Verstärkt wird dieser Faktor durch ein starkes Machtgefälle innerhalb der Organisation. Um als kooperativ zu gelten, sind junge Fachkräfte häufig in gewisser Weise dazu aufgefordert, sich ihren Vorgesetzten unterzuordnen. Sie stehen im Vergleich zu anderen Berufsgruppen somit in einem besonders starken Abhängigkeitsverhältnis.
So berichtet eine Ärztin: „Schon als junge Famulantin sprach mich ein Oberarzt ständig auf meine kleine Oberweite an. Irgendwann zog er mich in eine Ecke, drückte sich an mich und versuchte, mich zu küssen. [...] Schlimmer war es, als ich in einer anderen Klinik als Assistentin arbeitete und das Haus nicht ohne Weiteres verlassen konnte. Jahrelang hat mich ein Oberarzt ständig belästigt, hat versucht, mich zu küssen und zu umarmen. Einer meiner späteren Chefs legte immer wieder seine Hände auf meine Brust oder zwischen meine Beine, wenn ich mit ihm allein war“ (XX - Die Zeitschrift für Frauen in der Medizin 2013, Vol. 2(3): S. 156-157).
Darüber hinaus werden sexuelle Übergriffe durch organisationale Rahmenbedingungen im Krankenhaus begünstigt. So zeichnet sich zum Beispiel die Nachtschicht durch eine schwache personelle Besetzung aus, Ärztinnen und Schwestern sind oft allein im Haus unterwegs. Das erhöht die Gefahr und macht die Vertuschung einer Tat vermeintlich leichter. In manchen, stark von Männern dominierten Klinikabteilungen herrscht zudem ein relativ grober Umgang unter den Kollegen. Dies trägt dazu bei, dass die Hemmschwelle für (verbale) sexuelle Belästigungen generell sinkt.
So beklagt etwa ein Arzt: „Ich schäme mich für so manchen, der sich mit mir in der Herrenumkleide umzieht. Es ist eine Schande, wie schamlos manche Männer über Frauen im allgemeinen, Kolleginnen und (Ex-) Partnerinnen herziehen, wenn sie das Gefühl haben, man sei unter sich. Gerade in der Chirurgie wird Sexismus sehr offen praktiziert, gerne auch von Angesicht zu Angesicht, in aller Öffentlichkeit, vor Zeugen, auf Station und im OP“ (DocCheck 2018).
Die körperlich anstrengende und teils recht intime Arbeit mit Patient*innen und eine stetige Patientenorientierung sind insbesondere für Pflegekräfte eine Routineaufgabe. Routine wird zunehmend aber auch der damit verbundene Alltagssexismus. In vielen Situationen ist enger Körperkontakt nicht zu vermeiden, zum Beispiel beim Lagern, Mobilisieren oder Waschen. Vor allem diese alltäglichen Pflegesituationen werden von Patienten ausgenutzt, Pflegekräfte unsittlich anzusprechen oder gar zu berühren. Wer sich die Aufforderung eines Patienten anhören muss „Schwesterchen, setz dich doch mal zu mir ins Bett,“ wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, wird möglicherweise auch von den eigenen Kollegen als sexuelles Opfer betrachtet. So berichtet die gleiche Schwester gegenüber der SZ über „die jungen arroganten Assistenzärzte. Einer macht sich im Arztzimmer vor mir nackig, sagte: ‚Macht auf Engelchen, dabei hat es Paulinchen faustdick hinterm Ohr’.“
#MeToo ernst zu nehmen stärkt die Unternehmenskultur
Eine ernsthafte Diskussion über #MeToo am Arbeitsplatz Krankenhaus macht deutlich, dass es weder um den Kampf zwischen Mann und Frau, noch um eine pauschale Verurteilung aller Männer geht. Finden sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz statt, sind Männer, die sich nicht an derartigen Handlungen beteiligen, häufig selber beschämt vom Verhalten ihrer Kollegen. Auch sie müssen motiviert und gestärkt werden. Die Debatte ist darum als Chance zu verstehen: Insgesamt profitiert die Unternehmenskultur davon, wenn auch derart schwierige Themen offensiv angegangen werden. Denn erst ohne diejenigen, die sexuell diskriminieren und Gewalt ausüben, können Teams entstehen, die vertrauensvoll – auch in Stresssituationen – zusammenarbeiten, die Qualität der Arbeit verbessert sich und die Klinik wird als Arbeitgeber attraktiver.
Um einen solchen Prozess erfolgreich in Gang zu setzen, bedarf es eines entschlossenen Managements: Führungspersonal, Personalmanager und Kommunikations-verantwortliche müssen mit gutem Beispiel voran gehen, ihre Botschaften müssen unmissverständlich formuliert und im Zweifel auch konsequent umgesetzt werden. Unverzichtbar ist dafür die Unterstützung durch neutrale Berater*innen, die völlig unbelastet von allen internen Konflikten das Thema anschieben und durch das Unternehmen tragen. Sie dienen zugleich als glaubwürdiger Coach für die einzelnen Gruppen des Unternehmens und als schweigende und verschwiegene Klagemauer. Ihre Aufgabe besteht darin, festgefahrene Tabus anzusprechen und gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen konstruktive Lösungen zu finden. lege artis hat dafür die entsprechenden Konzepte. Sprechen Sie uns an.