Schnee von gestern
Die Anstrengungen, neues Pflegepersonal zu gewinnen, treiben merkwürdige Blüten. So mokiert sich der Spiegel über ein Poster der Uniklinik Freiburg, das im Stil eines Filmplakats drei irgendwie prekär und ein wenig bedrohlich anmutende Gestalten zeigt, die als DIE UNGLAUBLICHEN „im Einsatz für ihre Patientinnen und Patienten“ sind. So finster wie Igor (Rettungssanitäter), Birte (Ärztin) und Andreas (Gesundheits- und Krankenpfleger) den Betrachter anschauen, denkt man doch gleich: Wer Kollegen hat, braucht keine Feinde – wenn es im Untertitel auch heißt, „großartige Kolleginnen und Kollegen warten auf dich.“ Beim zweiten Hinsehen ist dann eben auch alles brav gegendert, Igor, Birte und Andreas wollen nur spielen. Die Kampagne läuft seit Ende 2018 in Freiburg und, so raunt der Spiegel in gewohnter Manier, „sorgt für Diskussionen in der Stadt.“ Wer aber genauer hinschaut, sieht schnell, dass die Reaktionen etwa auf der Facebook-Seite der Uniklinik durchaus positiv sind. Das Plakat scheint seinen Zweck zu erfüllen, die Botschaft ist klar, die Freiburger schmunzeln und haben es sich gemerkt. Und die Uniklinik wird sich freuen, dass der Spiegel darüber berichtet.
Genau hinschauen sollte man besser nicht bei dem, was das Gesundheitsministerium gerade an Geld verpulvert – reinster Pulverschnee! Unter der Kampagne „Pflege ist #MehrAlsEinBeruf“ wurde ein Video produziert, nein, es wurde „erzählt“, so der Regisseur Alain Gsponer, der laut Gesundheitsministerium schon mit den Filmen „Lila, lila“ und „Heidi“ für Furore gesorgt haben soll. So hatte sich wohl die Kreativabteilung von Heidis Bergwelt inspirieren lassen für eine Geschichte, über die im gleich mitgelieferten Making-Of-Video die Macher schwärmen, wie „authentisch“ sie sei, wie sehr sie alle „berührt“ habe, und alles andere, was Kreative so von sich geben.
Die Handlung ist schnell zusammengefasst: Zwei Schauspieler agieren ohne Text (so stellt sich Jens Spahn das richtigen Leben vor?), eine scheue Altenpflegerin und ein bettlägeriger Griesgram. Es ist kurz vor Weihnachten, der Alte sieht immer nur den Wetterbericht im Fernsehen, es will und will nicht Winter werden. Als er über einem Album mit vergilbten Fotos seiner Enkel im Schnee einschläft, fasst die junge Frau einen einsamen Entschluss: Am Tag vor dem heiligen Abend fährt sie mit ihrem Auto in die Berge und besorgt Schnee, den sie in ihrem Coolbag an das Bett des alten Mannes bringt. Ob sie die Reisekosten erstattet bekommt, erfahren wir nicht. Viel wichtiger ist ja: Das Ministerium findet auf seiner Webseite, dass der „’Weihnachtsspot’ der leisen Töne“ eine „berührendeGeschichte“ sei: „Sie weist darauf hin, dass gerade die kleinen menschlichen Momente die oftmals anstrengende Arbeit zu etwas ganz Wertvollem machen.“ Alles andere als leise reagiert allerdings das Publikum, wenn der Spot in den Kinos läuft: Unverständnis, Buh-Rufe und Pfiffe sind häufige Reaktionen der Zuschauer auf die Klischees, die das Gesundheitsministerium über den Pflegeberuf so verbreitet. Vorsichtshalber hat das Ministerium denn auch auf seinem Youtube-Channel die Kommentarfunktion prinzipiell deaktiviert. Dafür sprechen über 4.000 Kommentare bei Facebook eine recht klare Sprache: „Ignoranz“ ist der Begriff, der besonders häufig benutzt wird.
Ja, Pflege sollte endlich mehralseinBeruf werden, nämlich eine Profession auf Augenhöhe. Weihnachtsspots in Edeka-Manier helfen da nicht, sie zeigen nur den Schnee von gestern.