Unternehmenskultur ist auch eine Frage der Pflegekultur
Wie in kaum einer anderen Branche wird in den Krankenhäusern deutlich, dass die eigene Unternehmenskultur das ausschlaggebende Unterscheidungsmerkmal ist. Dabei spielt die Pflegekultur eine bislang unterschätzte Rolle. Das muss sich ändern. Denn für die Qualität der Versorgung, die Zufriedenheit von Patientinnen und Patienten und nicht zuletzt für Attraktivität als Arbeitgeber werden hier die entscheidenden Weichen gestellt.
Wie wollen sich unsere Krankenhäuser, die auf höchstem Niveau miteinander konkurrieren, heute noch voneinander unterscheiden? Woran machen Patienten ihre Entscheidung für die Behandlung in einer bestimmten Klinik fest? Was gibt den Ausschlag, wenn junge Pflegekräfte sich in Zeiten des Personalnotstands für ein bestimmtes Krankenhaus und damit gegen alle anderen entscheiden? Immer spielen dabei neben den rationalen Kriterien, etwa den Fragen des Geldes, der messbaren Leistungen oder der Erreichbarkeit, vor allem emotionale und normative Gründe die ausschlaggebende Rolle für die Attraktivität eines Hauses.
Was uns letzten Endes als erstrebenswert, eben als attraktiv erscheint, lässt sich schwer erklären. Beispiel: Chefarztvisite, in den meisten Krankenhäusern ein bekanntes Ritual, das verschiedene Perspektiven erlaubt. Dem Klischee nach ist dieser Termin stets von größter Relevanz. Der Chef macht sich selbst ein Bild und hat dementsprechend alle im Schlepptau: Stationsärzte, Assistenten und das Pflegepersonal. Die meisten Patienten fiebern dem Treffen entgegen und müssen dann erleben, dass die Menschen in ihrem Zimmer eher untereinander reden als mit ihnen selbst. Am Ende ist alles schnell vorüber. Dabei war den Patienten im Vorfeld nicht entgangen, dass reges Treiben in den Fluren und eine gewisse Aufregung unter den Mitarbeitern geherrscht hatten. Ein junger Assistenzarzt hatte schnell noch mal nach der Medikation geschaut, die leitende Schwester wirkte deutlich unsicherer als sonst. Auch die Famulantin und der Pflegeschüler hatten die ganze Situation beobachtet. Anschließend beschließen beide im Stillen, das man sich vielleicht doch nach einem anderen Arbeitgeber umschauen könnte. Derweil steht die Stationsschwester, jetzt wieder ganz die alte, noch mal allein am Bett des Patienten und erklärt ihm in ihren eigenen Worten, was der Chef zuvor an gleicher Stelle der Runde mitgeteilt hatte.
Völlig unabhängig davon, wie die medizinischen Leistungen einzuschätzen sind – ein Krankenhaus, in dem es wie in dieser fiktiven, nach Darstellung von Pflegestudierenden aber keineswegs unrealistischen Beschreibung zugeht, erscheint heute vielen als unattraktiv. Denn seine Kultur ist kalt, hierarchisch und tut alles andere als das, was viele Häuser in ihrem Marketing behaupten, nämlich den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Damit wird überdeutlich, dass es sinnlos ist, wenn eine Klinik sich vordergründig ein Image gibt, das sie aus der Nähe betrachtet gar nicht besitzt. Der beschriebene Chefarzt mag eine Koryphäe in seinem Fach sein, die menschliche Bindung aber wird von den Pflegekräften geschaffen, die quasi als seine Dolmetscher fungieren. Selbst wenn sie dafür mehr Zeit brauchen, als sie betriebswirtschaftlich eigentlich benötigen sollten, möglicherweise sogar an die Grenze ihrer Kompetenzen stoßen; die Pflege macht oft den wesentlichen kulturellen Unterschied aus. Das gilt für die Vermittlung von Gesundheitskompetenz, aber noch mehr für die Wahrnehmung der Werte, die in einem Krankenhaus vertreten werden. Es sind nämlich nicht allein die äußerlich sichtbaren Leistungen und Symbole, die eine gute Patientenversorgung prägen, sondern die in der Kultur einer Organisation tief eingelassenen emotionalen Stärken, die von den Patienten und ihren Angehörigen, aber auch von den (neuen) Mitarbeitern wahrgenommen werden. Jenseits aller zertifizierbaren Merkmale empfehlen die Menschen, sei es als Patienten, sei es als potentielle Arbeitnehmer, eine Organisation weiter, deren Mitglieder Motive verkörpern, die zur Heilung und Pflege notwendig sind.
So sind die Gründe für die Zufriedenheit der Patienten ebenso wie für die Arbeitsmotivation der Krankenhausmitarbeiter gleichermaßen in den verinnerlichten Werten einer Unternehmenskultur zu suchen, die in der täglichen Arbeit immer wieder erprobt und erneuert werden. Kommunikation spielt dabei eine entscheidende Rolle: Wie kommunizieren wir im Team, wie zwischen Pflegekräften und Ärzten? Was unterscheidet unseren Umgang mit den Patienten von dem in anderen Häusern? Diese Fragen zu beantworten, ist nicht zuletzt auch für die Profilierung eines Krankenhauses nach Innen und Außen von zentraler Bedeutung. Denn vor allem die akademisch qualifizierte Pflege wird in Zukunft dazu beitragen, dass gerade die menschlichen Entscheidungen es sind, die eine wahrnehmbare Kultur in den Häusern prägen. Die Professionalisierung der Pflege wird dazu führen, dass diejenigen Pflegekräfte, deren Aufopferungsbereitschaft lange als betriebswirtschaftlicher Glücksfall galt, abgelöst werden von Mitarbeitern, die gleichberechtigt in die Teams eingebunden werden müssen. Denn sie erlernen und kennen die kommunikativen Stärken, die zur Heilung der Patienten beitragen – genau solche Eigenschaften, die zukünftig mehr und mehr die Wahrnehmung der Kultur und damit die Entscheidungen für oder eben gegen ein Krankenhaus mit beeinflussen.
Schon heute ist die Pflegekultur ein zentraler Teil der Unternehmenskultur im Krankenhaus, sie macht die Krankenhäuser im Ganzen stark. Das muss auch das Management der Kliniken erkennen. Gerade das Personalmarketing, mit dem nun landauf landab um Pflegekräfte geworben wird, wirkt oft hilflos: Mögliche Bewerber werden mit englischsprachigen Werbeslogans angesprochen und die eigenen Mitarbeiter in teils privaten, teils skurril überzeichneten Alltagssituationen abgebildet um zu zeigen: Bringt eure persönliche Leidenschaft in die Arbeit ein. Doch wer seine Mitarbeiter aufwändig fotografieren lässt, weiß noch lange nicht, wie sie ticken. Da merkt man spätestens, wenn teuer rekrutierte Arbeitskräfte nach kurzer Zeit das Haus wieder verlassen. Mitarbeiter, vor allem Pflegekräfte zu binden, funktioniert ebenfalls nur dann, wenn die tradierte Kultur des Unternehmens und die Werte der Neuen zusammen passen. Darum ist es unerlässlich für das Management, die eigene Kultur genau zu analysieren und den Beitrag der Pflegekultur zu kennen. Denn erst dann hat ein Krankenhaus die Chance, sich zu unterscheiden und für Patienten wie für (neue) Mitarbeiter gleichermaßen attraktiv zu sein.
Pflegekultur ernst nehmen:
- Pflege als Dolmetscher der Patienten
- Autonomie der Pflege stärkt das Team
- Kommunikative Kompetenz stärkt die Medizin
- Pflege und Pflegekultur beschreiben können
- Pflege und Pflegekultur sichtbar machen
Blogparade 2020: Kulturwandel im Gesundheitswesen
Dieser Text von Prof. Dr. Achim Baum ist ursprünglich in der Juniausgabe 2019 des Magazins "Health&Care Management" (© Holzmann Medien GmbH & Co. KG.) erschienen. Wir haben uns aber dazu entschieden, ihn im Rahmen der #Blogparade zum Thema "Kulturwandel im Gesundheitswesen", die die Health-Bloggerin Constanze Zeller mit ihrem Blog "Zukunftsherz" (Twitter: @zukunftsherz) ins Leben gerufen hat, erneut auf kliniksprecher.de zu publizieren.