Wenn der Ernstfall eintritt...
Nach der Amokfahrt in der Münsteraner Innenstadt am 07. April 2018 haben mehrere Krankenhäuser den Notfall ausrufen müssen, um zahlreiche schwerverletzte Patienten zu versorgen. Eine Situation, die sich niemand wünscht und auf die doch alle vorbereitet sein müssen. Denn tritt der Krisenfall erst ein, müssen alle Räder reibungslos ineinander greifen. Die Rolle der Kommunikation ist dabei nicht zu unterschätzen. Wir haben mit den Kliniksprechern Marion Zahr, Julian Graffe (beide Universitätsklinikum Münster), Michael Bührke (Clemenshospital und Raphaelsklinik) sowie Friederike Lohmeier (St. Franziskus-Hospital) gesprochen.
UKM: Notfallersatzstation stand in 15 Minuten
Im Uniklinikum Münster haben die Verantwortlichen gleich nach den ersten Meldungen die Notfallpläne hochgefahren. "In solchen Fällen wird auf einer kompletten Etage in unserem Haus eine Notfallersatzstation eingerichtet", erklärte Marion Zahr, Pressesprecherin des UKM. Binnen kürzester Zeit waren Betten und medizinische Geräte vor Ort. Zudem meldeten sich rund 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einsatzbereit, die telefonisch über das klinikinterne Notfallsystem, aber auch privat alarmiert worden waren. "Es war sehr beeindruckend zu sehen, wie schnell alle am UKM waren und wie groß auch darüber hinaus die Hilfsbereitschaft war."
Der Krisenstab, dem neben dem Vorstand sämtliche Bereichsleiter angehören, kommt im Gebäude der Werkfeuerwehr zusammen. Für den ständigen Kontakt mit den Einsatzkräften und der Presse stehen dort zahlreiche Telefone, Laptops und sogar Fernseher bereit. "Wir haben zudem Zugriff auf die Kameras im und um das Gebäude, damit wir beispielsweise das Aufkommen und die Abwicklung an der Liegendanfahrt im Blick behalten und gegebenenfalls weitere Maßnahmen ergreifen können."
Auch die Unternehmenskommunikation ist zentraler Bestandteil der Einsatzleitung. Neben der Bereichsleitung stoßen deshalb zwei weitere Kliniksprecher für Pressearbeit sowie Internet und Social Media dazu. Dafür gibt es einen jährlich wechselnden Bereitschaftsdienst. "Das heißt aber nicht, dass die anderen Kollegen aus dem Team, die für den Einsatz in Frage kommen, im Krisenfall nicht mitinformiert werden", betonte Zahr. "Wir müssen wissen, wer verfügbar ist, falls beispielsweise bei lang anhaltender Krisenlage ein Schichtwechsel notwendig würde."
Die Telefone liefen dann auch umgehend heiß. Es gab am Abend der Amokfahrt und in den Folgetagen bundesweite Presseanfragen von Agenturen, Rundfunkanstalten, Printmedien und Fernsehsendern – sogar internationale Medien hätten sich gemeldet. Die Anfragen bezogen sich nicht ausschließlich auf die Lage im UKM: "Wir wurden sehr viel gefragt, auch zur Versorgung der Verletzten in Münster allgemein. Unsere Kommunikationspolitik ist da aber sehr deutlich: Wir äußern uns ausschließlich zu Vorgängen in unserem Haus." Schließlich wolle man sich nicht an Spekulationen beteiligen. "Aus diesem Grund kommt es für uns in so einem Fall aber auch nicht in Frage, nichts zu sagen, da das Gerüchten Tür und Tor öffnet", erklärte die Kliniksprecherin. Die Gratwanderung zwischen Aktion und Reaktion habe aber am Samstag und auch in den Folgetagen gut funktioniert.
Auch die UKM Blutspende wurde kurz nach der Meldung des Großschadensereignisses informiert, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein. "Der Bestand an Blutkonserven war gut, doch wir kannten zu dem Zeitpunkt das genaue Ausmaß des Einsatzes nicht, da durch eine mutmaßliche Bombe noch von zahlreichen weiteren Verletzten auszugehen war", beschrieb Zahr die Situation. Ihr Kollege Julian Graffe, der während des Einsatzes die Online-Kommunikation koordiniert hatte, ergänzte: "Wir haben uns deshalb entschieden, über Facebook und Twitter zum Blutspenden aufzurufen."
Die Resonanz war enorm: Rund 1,5 Millionen User hat das UKM alleine am Samstag und Sonntag erreicht. "Aufgrund der sich überschlagenden Ereignisse konnten wir nicht immer so schnell auf Kommentare und Fragen reagieren, wie das normalerweise unser Anspruch ist", berichtete Graffe. Die Interaktion im Social Web verlief aber glücklicherweise idealtypisch: "Die Community hat sehr besonnen reagiert, sich untereinander Fragen beantwortet oder auf die Website der Blutspende verlinkt." Als die Pforten der Blutspende nach kurzer Vorbereitungszeit öffneten, standen dann auch so viele Helfer vor der Tür, dass einige tatenlos nach Hause geschickt werden mussten. "Das tat uns natürlich sehr leid, aber die Menschen haben großes Verständnis gezeigt", sagte Graffe. Am Sonntag habe man sich deshalb auch nochmal auf Facebook und Twitter bei alle Helfenden bedankt und die noch offen gebliebenen Fragen beantwortet: "Uns war es sehr wichtig, den Leuten explizit zu danken, nachdem sie uns mit dem Aufruf vorher so sehr geholfen hatten."
Auch der Belegschaft wurde für den exzellenten Einsatz gedankt. Über einen internen Mailverteiler und im Intranet seien unter anderem ein Videostatement des Vorstands sowie ein Dankesschreiben von Oberbürgermeister Lewe veröffentlicht worden. Zudem gibt es in der aktuellen Ausgabe der Mitarbeiterzeitschrift „Pulsschlag“ einige Sonderseiten. „Wir haben darüber hinaus eine eigene Mailadresse eingerichtet und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um ihre Rückmeldung und Verbesserungsvorschläge für die internen Abläufe gebeten“, erläuterte Kliniksprecherin Marion Zahr.
Premiere für Clemenshospital und Raphaelsklinik
Auch in Clemenshospital und Raphaelsklinik haben zahlreiche Helfer mehrere schwerverletzte Patienten versorgt. Das Clemenshospital hatte dazu erstmals den Notfall ausgerufen. Und auch in der Raphaelsklinik meldeten sich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Arbeitsbereichen freiwillig zum Dienst. "Uns haben sogar Mediziner angerufen, die gar nicht bei uns im Haus arbeiten, um zu fragen, ob sie helfen können", bestätigte Michael Bührke, Leiter Unternehmenskommunikation. Auch er und seine Kollegin Tanja Sollwedel waren in die Häuser beordert worden.
Um trotz der ungewohnten Situation nicht den Überblick zu verlieren, sind die Abläufe, Aufgaben und Standorte in einem Einsatz- und Alarmplan geregelt. Teil dieses Plans sind sogenannte Notfallkisten, die überall in beiden Kliniken verteilt sind und alle wichtigen Utensilien enthalten. Beispielsweise finden sich darin Warnwesten für die Einsatzleitung, die die jeweilige Dienstbezeichnung ausweisen. "Wenn die Rettungskräfte die Verletzten ins Krankenhaus bringen, müssen sie sofort sehen können, mit wem sie es zu tun haben", erklärte Bührke. Zudem gibt es extra Mobiltelefone, deren Nummern nur einem kleinen Personenkreis bekannt sind. Sie stellen die Kommunikation innerhalb der Einsatzleitung sicher, auch wenn die normalen Leitungen überlastet sind.
Das war auch der Fall: "Telefonische Presseanfragen gab es natürlich sehr viele, sowohl von lokalen als auch überregionalen Medien." Es habe sogar die Berliner Dependance der Washington Post angerufen. "Ich antworte aber natürlich nur auf Fragen, auf die ich auch antworten kann", so Bührke. Parallel hat der Kliniksprecher den gesamten Einsatzablauf in einem Protokoll erfasst: "Um die Situation im Nachgang richtig bewerten zu können, ist ein Zeitplan extrem wichtig."
Noch am Abend habe man allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über das Intranet den ausdrücklichen Dank des Geschäftsführers übermittelt. Am Sonntagmorgen folgte dann eine gemeinsame Pressemeldung beider Häuser, nachdem alle Fakten sauber aufgearbeitet worden waren. "In so einer Situation sind die Medien wie trockene Schwämme – jede Information wird aufgesaugt". Umso koordinierter müsse man vorgehen.
St. Franziskus-Hospital: "Waren für mehr Verletzte vorbereitet."
Fünf Patienten mussten nach der Amokfahrt im St. Franziskus Hospital behandelt werden. "Die Abläufe waren sehr gut abgestimmt und alle Beteiligten haben Hand in Hand gearbeitet", erklärte Friederike Lohmeier, Referentin für Kommunikation. Obwohl der große Notfallplan für einen Massenanfall von Patienten gar nicht ausgerufen wurde, waren viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus eigenem Antrieb ins Haus gekommen. "Wir wären auch noch für mehr Verletzte vorbereitet gewesen."
Neben telefonischen Presseanfragen haben die Kliniksprecherin auch einige private Anfragen über Facebook erreicht. "Einige Menschen haben wohl mitbekommen, dass die Warteschlage beim UKM sehr lang war und haben gefragt, ob sie bei uns Blut spenden könnten." Die Solidarität und die Verbundenheit mit dem Haus seien deutlich spürbar gewesen.
In den Tagen danach hat das Direktorium in der Mitarbeiterzeitschrift seinen ausdrücklichen Dank an die Helfenden übermittelt. "Außerdem gab es einen Bericht von einer Kollegin, die am Samstag in der Notaufnahme Dienst hatte", schilderte Lohmeier. Zudem habe sie im Nachgang mit ihren Kollegen in Kontakt gestanden: "Wir haben ein ganz gutes Netzwerk und haben uns am Anfang der nächsten Woche untereinander ausgetauscht."
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